Stefan Meißner

Presse // Der Bau

WETZLARER NEUE ZEITUNG, 12.07.16
IM INNEREN LAUERT DER WAHNSINN
Autor: Markus Fritsch

Wetzlar. Franz Kafkas letzte Erzählung "Der Bau" ist am Samstag Thema in der "KulturStation" gewesen. Jörg Schulze-Neuhoff, Schaupsieler und Theaterpädagoge, interpretierte die Rolle des Höhlenwesens beklemmend authentisch, paranoid, mit ironischem Unterton.

"Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen... Freilich, manche List ist so fein, dass sie sich selbst umbringt, das weiß ich besser als irgendwer sonst." Diese ersten Sätze umreißen den Zustand des Menschtieres. In einem grauen Anzug betrat der Schauspieler den Raum. Er atmete schwer, wirkte gehetzt, die Augen weit aufgerissen, die Finger und Fußnägel schwarz lackiert. Er kroch über den Boden, schnüffelte am Inhalt seiner Plastiktüten. Seine Gedanken kreisten um seinen Bau.

Der Bau stand auf der Bühne, geschaffen aus vielen Klappkisten und einer Truhe, die den Eingang symbolisierte. Das Wesen verschanzte sich in seiner eigenen Welt. Die Welt außerhalb seines Baues - die Zivilisation - jagte ihm Angst ein. Auch ein unerträgliches Rattern störte die Stille und trieb das Wesen immer weiter in den Wahnsinn.

Ein wenig wie Gollum

Dabei wusste das Publikum nicht, ob die Geräusche im Inneren des Wesens entsprangen oder ob wirklich ein Feind "da draußen" lauerte. Entfernt erinnert das Spiel von Jörg Schulze-Neuhoff an Gollum aus "Der Herr der Ringe", auch Assoziationen zu "Pink Floyds" "The Wall" gab es. kafkas Höhlenmensch ist aber bedrohlicher, näher am Wahnsinn.

Schauspielerisch einen solchen Zustand über eine Stunde glaubhaft zu spielen, ist eine starke Leistung. Hier haben Regisseur Stefan Meißner und Jörg Schulze-Neuhoff bravouröse Arbeit geleistet. Überhaupt scheinen die beiden Bielfelder zu harmonisieren, denn sie gastierten schon mit "Götz" in der "KulturStation". Als Nächstes werden sie den "Woyzeck" interpretieren unf hoffentlich schauen sie wieder vorbei.

HILDESHEIMER ALLGEMEINE ZEITUNG, 12.11.13
DER BLICK IN DEN ABGRUND
Kafkas "Der Bau" mit Jörg Schulze-Neuhoff im Theaterhaus: Intensität macht sich bis in den Magen bemerkbar.
Autorin: Kathi Flau

bau_hildesheimJörg Schulze-Neuhoff eröffnet den Blick in das Labyrinth eines paranoiden Wesens | Foto: Kathi Flau

Hildesheim. Heruntergekommener grauer Anzug, schwarze Fongernägel, strähniges Haar, irrer Blick. Ein Mann huscht auf die Bühne, versucht sich im Raum zu verorten und spricht dann die ersten Worte, mit denen Franz Kafkas Text "Der Bau" beginnt: "Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen. Von außen ist eigentlich nur ein großes Loch sichtbar, dieses führt aber in Wirklichkeit nirgends hin, schon nach ein paar Schritten stößt man auf natürliches festes Gestein."

Der leiseste Donnerhall. Zwei Sätze genügen, um sich in den einzigen Darsteller der Inszenierung zu verlieben. Sein eindringliches Spiel und seine sonore Stimme verleihen Jörg Schulze-Neuhoff eine Bühnenpräsenz, die sich in ihrer Intensität bis in den Magen bemerkbar macht. Jede emotionale Nuance des anderthalbstündigen Monologs macht er sich zu eigen, er eröffnet dem Publikum im Theaterhaus einen Blick in die Höhle, den Abgrund, in das Labyrinth dieses paranoiden Wesens, von dem man erst Mal gar nicht weiß, ob es Mann oder Maus ist.

Es ist auf der Flucht, soviel steht fest. Ständig. Vor dem Lärmn außerhalb des Baus, vor einem unbestimmbaren Geräusch im Inneren. Es ist Haus- und Baumeister, überwacht akribisch den Zustand der Gänge und fürchtet nichts mehr als ihren Zerfall. Auf dem Burgplatz hortet es seine Vorräte, einen Haufen Konserven, und weitere Schätze, die es in seligen Momenten zur Hand nimmt, wie im sich von ihrer Existenz zu überzeugen und dadurch auch immer wieder von der eigenen. Schulze-Neuhoff, Schauspieler und Theaterpädagoge aus Bielefeld, bewegt sich mit geradezu zwingender Anziehungskraft durch das schlichte Bühnenbild. Vor einer Wand aus 41 aufgestapelten Einkaufsfaltskisten, beleuchtet von ein paar Baustrahlern, barfuß, Müllsäcke und Lumpen in den Händen, verzweifelt er und träumt, sucht, vermutet und hütet. Und immer ist es, als würde man gerade etwas sehr Intimes beobachten: die versonnenen Momente, in denen er seufzt und murmelt, die verspielten, in denen er sich mit einer über die Hand gezognenen Socke unterhält, und die tragischen, lauten. Jeder einzelne ist Poesie, und Schulze-Neuhoff ein großartiger Erzähler.

Unter der Regie von Stefan Meißner ist hier ein Stück entstanden, das sich ganz auf seinen Darsteller und die Assoziationen, die er hervorruft, verlässt. Das, wie Kafka es typischerweise vorgibt, mit Leerstellen arbeitet. Mit Offenheit. Allein die Identität des Wesens wird ja nicht endgültig geklärt. Was Schulze-Neuhoff darstellt, kommt eher einem Bettler gleich, einem Clochard, der sich aus für ihn völlig unverstädnlichen gesellschaftlichen Normen zurückzieht. Dann wiederum ist von Moos die Rede, das den Eingang zum Bau bedeckt, von Waldmäusen und rohem Fleisch, und tatsächlich spricht der Originaltext von einem Tier, das den Bau bewohnt.

Aber das ist gar nicht das Entscheidende. Das ist sogar egal. das Entscheidende ist, da jemanden in einer Verlorenheit zu sehen, die einen anrührt, auf eienr Reise, die sich im Kreis dreht. In seinen hoffnungsvollen Momenten, von denen man ahnt, dass sie nur ein kurzes Aufleuchten sind. Aber wenn sich Schulze-Neuhoff dann wieder aufrichtet, wenn seine Figur sich den schäbigen Anzug glattstreicht, vor einem imaginären Spiegel das Haar richtet und allen Mut zusammennimmt, um den Bau zu verlassen - dann möchte man, und darum geht es, Teil dieser Welt draußen sein. Man möchte jemand sein, der ihm dort begegnet. Derjenige, der ihn nicht zu Tode ängstigt.

NEUE WESTFÄLISCHE, 15.10.13
VOR DER AUßENWELT VERSCHANZT
Kafkas Erzählung "Der Bau" beim Theater auf der Deele in Dreyen aufgeführt.

Autorin: Christina Zimmermann

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Auf seinem Beobachtungsposten: Kafkas Baubewohner traut der Zivilisation nicht. Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff spielt das paranoide Menschtier mit ausdrucksstarker Mimik und Gestalt. | Foto: Christina Zimmermann

Enger. "Sitzt ihr alle gut?" Holger Grabbe und seine Frau Vera stehen vor den rund 20 Zuschauern in ihrer Deele in Dreyen. Das Bühnenbild steht schon: Schwarz-blaue Klappkisten bis hoch zur Decke gestapelt, die einen Durchgang lassen, wie eine kleine Festung. Das Theater zeigt auf der Grabbe'schen Deele Franz Kafkas "Der Bau", ein Solo-Stück, dem eine unvollendete Erzählung und eines der späten Werke des Schriftstellers zu Grunde lag.

Ein Namenloser betritt den Raum. Sein Atem ist schwer, er schaut durch das Publikum hindurch mit weit aufgerissenen Augen. Seine Finger- und Fußnägel sind schwarz lackiert. Er trägt einen zerschlissenen grauen Anzug, kriecht über den Boden, schnüffelt an dem Inhalt seiner Plastiktüten; seine Beute.

Zwischen Stolz, Sehnsucht, Angst und Wahnsinn

Die Gedanken dieses Wesens - halb Mensch, halb Tier - kreisen nur um seinen Bau. Es ist stolz auf seine Festung. Sie bietet ihm Schutz und Geborgenheit. Die Stille ist das, was dieses Wesen sucht. Die Welt oben - die Zivilisation - jagt ihm eine fürchterliche Angst ein. Deswegen verschnazt sich das Wesen lieber in seiner eigenen Welt. Doch ein Rattern stört die Stille und treibt das Wesen in den WAhnsinn. Ständig ist es in Bewegung, hetzt rastlos durch seinen Bau, horcht paranoid, fast zwanghaft, an den Wänden der Festung.

Dabei weiß der Zuschauer nicht, ob das alles Einbildung ist oder ob dort tatsächlich ein Feind vor der Tür lauert.
Jörg Schulze-Neuhoff zieht den Zuschauer mit seinem intensiven Spiel dirket hinunter in seinen unterirdischen Bau. Sie sind selbst Teil seiner Festung und Zeugen seiner Verzweiflung. Dem 90-minütigen inneren Monolog des Wesens gibt er durch gekonnten Körpereinsatz - malhyperaktiv, mal völlig entschleunigt - Gestalt. Seine ausdrucksstarke Mimik unterstreicht die gespaltene Gefühlslage des Baubewohners, die sich zwischen Stolz, Sehnsucht, Angst, selbstzweifel und völligem Wahnsinn bewegt. Gruselig, aber auch mitleiderregend ist dieses Wesen, das aus der selbst gewählten Einsamkeit heraus mit einer Sockenpuppe redet und im nächsten Moment voll Verzweiflung losbrüllt und seinen geliebten Bau zerstört.
Die spartanische Inszenierung hätte besser nicht passen können zu dieser zurückgezogenen Seele. Ein Haufen Plastiktüten als Beute und grüne Gemüsekisten als Lagerstätte holen das Stück in die heutige Zeit. Das Schulze-Neuhoff eigenständig über Licht und Deunkel entscheiden und sich selbst mit einem Leuchtstab in der Finsternis seines Baus in Szene setzen kann, verleiht der Aufführung eine ganz eigene Dynamik.

"Jörg bringt immer mehr von sich selbst ein"

Regisseur Stefan Meißner war 2011 nicht unbedingt klar, wie er die Erzählung Kafkas auf der Bühne umsetzen soll. "Aber dann kamen nach und nach die Ideen." Die nun 41. Aufführung sei trotzdem wieder ein wenig anders. "Jörg bringt immer mehr von sich selbst ein." Einmal mehr zieht das Theater auf der Deele ein Schmuckstück der Szene an Land.
Die gemütliche Wohnzimmeratmosphäre bei den Grabbes, die duch den düsteren Stoff Kafkas zunächst jäh unterbrochen wurde, ist schnell wieder präsent. Der Hausherr befeuert den Kachelofen. Eine wohlige Wärme erfüllt die Räume. aus der Küche duftet es nach Essen und die Gäste fühlen sich bei gutem Wein und kühlem Bier heimisch.

ENGERSCHER ANZEIGER, 14.10.13
BLICK IN EINE EINSAME SEELE
Gehaltvolles Theater auf dem Hof Grabbe - unterirdische Betrachtungen.
Autorin: Daniela Dembert

Enger. Etwa 20 aufgereihte Sitzplätze haben am Freitagabend für die geladenen Gäste in der Deele von Vera und Golger Grabbe bereitgestanden. Wie schon öfter sollte eine Theateraufführung stattfinden. Kafka stand diesmal auf dem Programm. "Wail man ja der Landflucht etwas entgegensetzen muss", sagen die Hofbesitzer.

"Wir haben hier keine nennenswerte Infrastruktur, keine Industrie und mit der Landwirtschaft ist auch nicht mehr viel los", meinte Holger Grabbe. Irgendetwas müsse die Menschen ja halten. So haben die Grabbes in der Nachbarschaft Theaterabende ins Leben gerufen. Mehrmals im Jahr laden sie auch auf den umliegenden Höfen zu Events ein.

Der Kamin wärmte und ein Duft nach gekochtem Essen durchströmte die Luft, die Gastgeber emfongen ihre Gäste herzlich. In heimeliger Wohnzimmeratmosphäre sollte dem Besucher nun Kultur "passieren". Die Schauspielinteressierten erwartete diesmal eine Aufführung von Kafkas letztem Werk "Der Bau", eine Ein-Mann-Inszenierung von Jörg Schulze-Neuhoff.

Ein Namenloser, der sich seine eigene unterirdische Festung erschaffen hat, in der er mit der beständigen Angst lebt, entdeckt und von fremden Mächten überwältigt zu werden, ist ohne Unterlass damit beschäftigt, seine Existenz zu verbergen und zu sichern. Allein der Monolog über 90 Minuten ist schon eine beachtliche Leistung, bietet das Stück doch wenig Möglichkeiten zur Aktion. Dennoch ist Schulze-Neuhoff städnig in Bewegung, zieht den Zuschauer in die Welt des ratslosen Protagonisten, lässt ihn dessen Paranoia, Verzweiflung und Einsamkeit spüren.

Immer wachsam, immer gehetzt, den Kontrollverlust fürchtend entwickelt der Unbekannte eine Bessenheit, deren Intensität Schulze-Neuhoff sehen und spüren lässt. Der Betrachter wurde förmlich aus der Komfortzone der gewärmten Deele in die dunkle und kalte, unterirdische Welt des Baus gezerrt. Mit weit aufgerissenen Augen gibt der Schauspieler den kafkaschen Gedankengespinnsten um das Sein, um Ängste und Sehnsüchte nach Sicherheit, Geborgenheit und Ruhe einen Ausdruck. Lauernd, wütend, zweifelnd, lieblich säuselnd schickt er den Zuschauer durch die Facetten einer einsamen Seele. Anstrengend und fesselnd zugleich ist die Umsetzung dieser schweren literarischen Vorlage. "Das Stück ist sehr aktuell, wir finden er zeitlos", lautete auch das Fazit von Sibylle Löbbes, die die Theaterabende gerne besucht.

Die minimalistische Inszenierung mit einer FLut von Plastiktüten als Beute des Jägers und Sammlers unserer Zeot holt den Kafka ins Hier und Jetzt. Eine Glanzleistung nicht nur des Darstellers, sondern auch des Regisseurs Stefan Meißner. Das Duo kennt sich aus der gemeinsamen Ausbildung zum Theaterpädagogen. Seit zwei Jahren führen die beiden das Stück bereits gemeinsam auf - Meißner kümmert sich auf um die Tontechnik - und "Der Bau" soll gewiss nicht die letzte gemeinsame Inszenierung bleiben.

THEATER:PUR, 22.08.13
RASTLOSES SICHERN VON VORRÄTEN
Autor: Dietmar Zimmermann

Für die Liebhaber der kleinen Spielstätten in NRW gibt es eine gute Nachricht: Jörg Schulze-Neuhoff aus Bielefeld ist wieder unterwegs. Er hat seine erfolgreiche Tourneeproduktion aus dem Jahre 2011 wieder aufgenommen, für die ihn mancher Rezensent gar mit Klaus Kinski verglichen hat. Das ist sicherlich ein wenig hochgegriffen, aber ein bisschen ist schon dran:

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Wirres, halblanges Haar, lackierte Fingernägel, hervorquellende große Augen, die ziemlich wirre Blicke werfen – wie ein Irrer wirkt er, getrieben, fast wie ein psychopathischer Serienmörder, wenn Schulze-Neuhoff auf Tuchfühlung ganz dicht um uns herumschleicht. Schulze-Neuhoff spielt das nicht näher definierte Tier in Franz Kafka unvollendeter Erzählung Der Bau. Das Tier hat diesen Bau errichtet und leidet zunehmend unter Verfolgungswahn. Vor allem der Burgplatz, sozusagen die Plaza Mayor seines unterirdischen Reiches, auf dem der größte Teil seiner Vorräte lagern, erscheint ihm unsicher; er muss geschützt werden; weitere Plätze und Verstecke müssen gebildet werden. Rastlos schleppt das Tier, wohl ein Dachs, Vorräte hin und her aus Angst vor einem imaginären Feind, so rastlos wie es den Bau angelegt hat als „Zickzackwerk von Gängen“, unruhig, verwirrend, ohne jegliche Harmonie. Dabei sucht der beständig Grabende vor allem Stille, die vollendete Ruhe; sein Ziel ist die vollständige Isolierung, die ja auch Schutz vor dem Feind bedeuten würde; das Tier, das sich zu Beginn gern von den kleinen Tieren im Erdreich ernährte, gräbt so tief, dass es kleine Tiere nicht mehr findet. „Wie schön es hier ist“, sagt Schulze-Neuhoff mit irrem Blick und voller Stolz: „Alle haben ihre Geschäfte, die keine Beziehung zu mir haben. Wie habe ich es angestellt, so etwas zu erreichen!“

Schulze-Neuhoff gibt diesen getriebenen, diesen unheilbaren Psychopathen mit ungeheurer Intensität; fast krabbelt er dabei seinem Publikum über die Beine, was die Suggestivkraft seines Spiels verstärkt. Manchmal wäre ihm etwas mehr Variabilität in seinem Spiel zu wünschen, damit die durchaus bedrohliche, auch gruselige Atmosphäre sich in den ca. 80 Minuten nicht abnutzt. Aber Schulze-Neuhoff und seinem Regisseur Stefan Meißner gelingt es, immer wieder auch Assoziationen zu wecken zu anderen, bekannteren Kafka-Texten, zu den Alpträumen des Käfers in der Verwandlung beispielsweise oder zur Türhüter-Parabel im Prozess: Sein ganzes Leben verbringe er in diesem Bau, sagt Schulze-Neuhoff. Am Ende ist er „kein kleiner Lehrling mehr, sondern ein alter Baumeister“, doch: „was ich an Kräften noch habe, versagt mir, wenn es zur Entscheidung kommt.“ Da ist es uns doch, als schließe der Türhüter das Tor zum Gesetz, durch das die ganzen Jahre niemand ging, denn „es war nur für dich bestimmt“, für den sein Leben lang vergeblich Einlass Begehrenden. Auch der Dachs im Bau wird seinen rastlosen Wahn ein Leben lang nicht los, obwohl ihm kein erkennbarer Feind nahte. Schulze-Neuhoff führt uns in den Tiefen des Baus auch ganz tief in Kafkas alptraumartige Gedankenwelt.

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Und er tut das in kongenialen Spielstätten, in engen, unwegsamen Höhlen wie dem Theater an der Rottstraße in Bochum, noch zweimal in seiner Heimat Bielefeld (im Mouvement Theater), in der Studiobühne Essen, dem Kleinen Theater Herne oder dem Theater im Depot Dortmund, aber auch in Kneipen und absonderlichen Kleinstspielstätten wie dem Café Ankoné Gütersloh, dem Theater auf der Deele Dreyen oder dem Maschinchen Buntes Witten.

KULTKOMPOTT, 29.05.13
I THINK I'M PARANOID: KAFKA/DER BAU
Autorin: Julia Ariane Reiter

Ein sehr spannendes, schönes aber auch manchmal nachdenkliches und ernstes Sommerblutfestival 2013 neigt sich seinem Ende zu. Der letzte Theatertermin ist für mich Der Bau mit Jörg Schulze-Neuhoff in der Hauptrolle. Die Regie führt Stefan Meißner.
Passenderweise wird die Bühnenfassung von Kafkas unvollendeter und erst posthum veröffentlichter Erzählung nicht im großen Saal der Kölner Orangerie aufgeführt, sondern im dunklen Keller des Theaters, dessen unbearbeitete Wände eine wunderbare Kulisse für ein Stück abgeben, dessen Handlung sich ebenfalls unter der Erde zuträgt.

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Der Text bietet sehr viel Interpretationsspielraum für die Beantwortung der Frage, wer oder was das Tier eigentlich ist. Es könnte sicherlich ein Dachs, aber auch eine Metapher für die noch nicht verarbeiteten Schrecken des ersten Weltkriegs oder für die Beengtheit an der Front sein. Und natürlich sind in Der Bau auch viele Anzeichen für eine beginnende Schizophrenie und die krankhafte Furcht um die eigene Unversehrtheit zu finden.
In Meißners Inszenierung ist das Tier ein Mann im grauen Anzug. Finger- und Fußnägel sind schwarz lackiert und unter den Augen sind ebenfalls schwarze Ringe zu sehen. Die lebhafte Mimik des Tieres ist von ständiger Angst und von krankhaftem Größenwahn gezeichnet.

Der Bau, in dem das Tier haust, erstreckt sich über den ganzen Kellerbereich der Orangerie. Auch das Publikum sitzt während des gesamten Stückes mit im Bau und muss gemeinsam mit dem Tier, die Angst vor mögliche Feinden am eigenen Leib erfahren.
Das Bühnenbild, das aus aufeinander gestapelten Plastikkörben besteht, lässt das Tier zum paranoiden Messie werden, der in vielerlei Hinsicht unserem Zeitgeist entspricht. Gehortete Kleidung, die in Plastiktüten verstaut ist und Nahrung, die aus Konserven stammt, verorten das Tier eher am wenig beachteten unteren Ende der Gesellschaft.

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Jörg Schulze-Neuhoff zeigt sehr überzeugend, die erstarkenden Ängste des Tieres und die Unfähigkeit, die Paranoia ohne fremde Hilfe zu überwinden. Ob es nun die Vernichtung des eigenen Baus oder die schizophrene Spaltung in Ego und Sockenpuppe ist: Schauspielerisch durchweg gelungen geht Schulze-Neuhoff den Weg eines Rastlosen, der konsequenterweise nur in völliger Selbstzerstörung enden kann.

Eine interessante Inszenierung, die an einige Stellen sogar noch mutiger sein könnte.

WESTFÄLISCHE NACHRICHTEN, 01.10.12
KEINE ZUFLUCHT VOR DEM UNGEMACH DER ZIVILISATION
Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff bringt "Der Bau" nach der Erzählung von Franz Kafka auf die Bühne.
Autor: Peter Sauer

Münster. Der Wahnsinn kann so nahe sein. Vor allem wenn er den Menschen bei vermeintlich wachem Kopf von innen wie selbstverständlich auffrisst. Schizophrenie und Paranoia werden zu den Verbündeten des Wahnsinnigen. Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff zeigte am Freitagabend im Kammertheater "Der Kleine Bühnenboden" in dem Ein-Personen-Stück "Der Bau" nach der Erzählung von Franz Kafka, was einen solchen Menschen antreibt.

Halb Mensch, halb Tier: In den Tiefen der Erde hat sich das "Menschentier" (Jörg Schulze-Neuhoff) eingenistet. | Foto: Peter Sauer

Zwischen einer Armada aus Plastiktüten voller gesammelter Lebenserinnerungen vegetiert er unterirdisch vor sich hin wie ein Messie. In einer Festung aus Einkaufskörben. Tief unten in der Erde jagt er kleinere Insekten oder mit Konservendosen gfüllte Plastiktüten. Mal scheint er sich wohlzufühlen in seinem Unter-Tage-Exil. Schlüpft in seinen Bademantel, spielt mit einer Socke Puppentheater oder kuschelt sich mit seinen Tüten in Embryonalhaltung. Wenn da nicht diese Maschinengeräusche wären.

Vorboten der Zivilisation oben über ihm, die ihn ängstigen. Ihn aufzehren. Dabei sehnt er sich nur nach vollkommender Geborgenheit und Ruhe. "Der Bau" ist eine groteske Parabel über ein Menschentier, das selbst einige Meter unter der Erde vor dem Ungemach der Zivilisation keine Zuflucht zu finden vermag. Ein surreales Gleichnis über einen Menschen, der sich von der eigenen Gesellschaft befreien will, die ihm zu laut geworden ist.

Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff bezieht das Publikum so nah mit ein, dass man seine Atemzüge spüren kann. So nimmt er der Kafka-Vorlage die dominante Schwermut - zugunsten direkter Betroffenheit, die Assoziationen auslöst. Er dokumentiert den zunehmenden Zerfall mit hyperaktiven bis entschleunigtem Körpereinsatz, mit Ausrifezeichen-Augen so tief wie finstere Bergseen und einer fein gewebten Sprache, die an Klaus Kinski erinnert. Er schreit, keift, verfüht, wütet und winselt. So gräbt sich "Der Bau" tief in das Bewusstsein ein. schade nur, dass das Stück nur ein Dutzend Zuschauer in den Bau lockte.

DIE GLOCKE, 14.09.12
KAFKAS BAU BESCHERT 90 MINUTEN GÄNSEHAUT

Furios im Ein-Personen-Stück "Kafka - Der Bau": Jörg Schulze-Neuhoff in der Gütersloher Weberei | Foto: Helmich

Gütersloh. Das spartanische Bühnenbild und das zumeist diffuse Licht schafft eine subtile, paranoide Atmosphäre, die unter die Haut geht. Beim Ein-Personen-Stück "Kafka - Der Bau" am Mittwoch in der Gütersloher Weberei bekamen auch die leider nur wenigen Zuschauer das Gefühl, dem Wahnsinn anheimzufallen.

Auf Einladung des Jugendkulturrings gastierte der Bielefelder Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff mit dem Regisseur Stefan Meißners inszenierten Stück im Kesselhaus. Furios gab er den namenlosen Paranoiden, der sich nach dem Natürlichsten sehnt, wonach man sich sehnen kann: Sicherheit. Um sie zu gewährleisten, werkelt er unermüdlich an seinem Bau, einem unterirdischen Labyrinth, das ihm eine trügerische Heimat bietet. Verunsichert gerät der Bewohner in immer tiefere Gefilde des Wahns.

Gekonnt setzte Schulze-Neuhoff die Wechsel zwischen ruhiger Entrücktheit und urplötzlich losstürmenden Panikattacken, die in wildem Geschrei ihren Höhepunkt fanden. Er wusste die Beklemmung zu steigern, bis sie im ganzen Raum greifbar war. Gänsehaut auch ob des subtilen Realismus', den seine Rede hinter einem Pult aus Gemüsekisten hervorrief. Die Demontage des Bühnenbilds am Ende, begleitet von einem Monolog aus dem Off über den "Gräber", jenen nur in der Fantasie des Bau-Bewohners existierenden Feind, ließ viel Platz zur Interpretation. "Wie überhaupt dort immer ein Fehler ist, wo man von irgendetwas nur ein Exemplar besitzt", wurde Kafka zitiert.

Ein Fehler war es tatsächlich, sich diese gekonnte Inszenierung, zu der der Gütersloher Jugendkulturring eingeladen hatte, entgehen zu lassen. Selten ist die ansonsten so schwer verständliche Fantasie Kafkas so mit Leben gefüllt gewesen.

NEUE WESTFÄLISCHE, 28.02.12
ERINNERUNG AN KINSKI
Franz Kafkas unvollendete Erzählung "Der Bau" als Bühnenstück im Amalthea.
Autorin: Ulla Meyer


Bewältigt den Sprachstrom ohne Fehler: Der Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff. Mit dem Regenschirm am Ohr vernimmt er hier gerade die ersten bedrohlichen Geräusche. | Foto: Ulla Meyer

Paderborn. Wir wissen nicht, was "es" ist. irgendwein Wesen, was sich hinter einer Festung aus Plastikkisten verschanzt, ein unterirdisches Labyrinth errichtet und sich vor Feinden schützt. In Franz Kafkas unvollendeter Erzählung "Der Bau" bleibt die Frage offen, im Bühnenstück unter der Regie von Stefan Meißner auch.

Doch das Wesen mit den flackernden Blick, dem universalen Pennerlook und der der sonoren Burgschauspielerstimme ähnelt schon stark an einen Menschen. Dieses Menschtier hat Angst, es muss seinen Bau schützen. Dazu braucht es erst mal keinen Text, die Angst kann man an seinen Bewegungen ablesen. Die Festung muss noch sicherer werden, sie wird bedroht. Von wem oder was, wissen wir nicht, auch nicht, ob der Feind real oder irreal ist. Wer jemals in seinem Leben irgendeinen Kafkatext gelesen hat, weiß schon jetzt, das der schlimmste Feind des Lebens der Bauherr selbst ist.

Dennoch erlebten die Zuschauer im gut besuchten Amalthea-Theater 90 Minuten Spannung pur. Jörg Schulze-Neuhoff schafft es, Kafkas Kunstfigur mit prallem Leben zu füllen. Natürlich geht es "kafkaesk" zu, bisweilen absurd, doch führt die stark umgesetzte Erzählung aus dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts sofort zur Identifikation mit dem Hier und Jetzt, wo das Geschäft mit der Sicherheit floriert und es irgendwann Alarmanlagen geben wird, die vor sich selbst warnen. "Manche List ist so fein, dass sie sich selbst umbringt" weiß das Menschtier schon zu Anfang des Stücks.

Die Richtung ist also klar, und die Spannungsmomente verdichten sich im Laufe des Stücks immer mehr. Ist das Menschtier am Anfang noch stolz auf das Erreichte, wird die ständige, nicht fassbare Angst immer stärker. Es gibt auch "gemütliche" Momente in dieser Inszenierung, ein kurzes Durchatmen, ein Sichten der vielleicht irgendwann mal nützlich werdenden Habseligkeiten auf dem Burgplatz. Doch die allgegenwärtige Bedrohung kulminiert. Irgendwann hört es ein leises Zischen, das niemals näher kommt, doch allgegenwärtig scheint. Die Paranoia wird stärker, alle Überlegungen gehen nun ins Leere, alles bleibt unverändert.

Jörg Schulze-Neuhoff bewältigt den komplizierten manisch monologisch besessenen Sprachstrom ohne jeden Fehler und erinnert in der Intensität des Spiels stark an den legendären Klaus Kinski. Er hat den Text verinnerlicht, als wäre er von ihm selber. Witzige Regieeinfälle von Stefan Meißner, die Verlegung des Spielgeschehens in der Zuschauerraum, fantasievolle Requisiten und ein für die Kleinkunstbühne optimales Bühnenbild relativieren die Schwere des Werks und schaffen Identifikation. Ein Theaterabend mit Spannung und Anspruch.

KOMPOTT, 10.02.12
DER BAU IM DOM
Kafka-Inszenierung von Stefan Meißner im Falkendom.
Autorin: Nora Turkiewicz

Wer den Originaltext „der Bau“ von Kafka kennt, kann sich vielleicht vorstellen, dass ich sehr gespannt war, wie der düstere Text auf die Bühne gebracht werden soll. JÖRG SCHULZE-NEUHOFF macht es einfach und zwar mit Hilfe der Regie von STEFAN MEIßNER und tritt zum wiederholten Male mit seinem Einmannstück im Falkendom auf.

Die Erzählung Kafkas stellt die menschliche Ich-Perspektive eines Tiers dar, das den großen unterirdischen Bau angelegt hat, um sich dort in Sicherheit und mit Vorräten niederlassen zu können.

Ständig hinterfragt es jedoch die eigenen Fähigkeiten und ob der Bau wirklich genügend vor möglichen Feinden gesichert ist. Und dann taucht da auch noch dieses Geräusch auf, dessen Ursprung scheinbar unauffindbar ist. Das Tier scheint gefangen im ständigen Zweifel sowohl im Bau als auch in der „Oberwelt“, vertraut niemandem, offenbar nicht mal sich selbst und wird geplagt von Gefühlen der Angst, Wut und Verzweiflung.

Eben diese nagenden Gefühle zeigt uns SCHULZE-NEUHOFF abwechselnd auf der Bühne mit meist weit aufgerissenen Augen, mal emsig beschäftig bei immer gleichen Ritualen der Umsortierung der Vorräte und Kontrolle der Bauwände, mal brüllend, kratzend und beißend vor Wut auf sich und den Feind. Er bringt uns Kafkas Geschöpf näher und kostet dessen rastlose, paranoide und im Zweifel gefangene Seite voll aus.

Besonders gut gemacht waren Bühnenbild und Requisiten. Der Bau selbst wird angezeigt durch eine Wand aus Einkaufskisten, der „Burgplatz“ davor ist übersäht von den Vorräten, die aus vielen Tüten mit Kleidung und einigen Konserven bestehen und zur Untersuchung des mysteriösen Geräusches werden ein Regenschirm und eine Sockenpuppe herangezogen.

Für mich war es eine Bereicherung Kafkas Erzählung auf der Schauspielebene kennenzulernen und so weitere Deutungsmöglichkeiten des umstrittenen, unvollendeten Werks eröffnet zu bekommen.

TRIERISCHER VOLKSFREUND, 28.10.11
BEKLEMMENDE ATMOSPHÄRE
"Der Bau" von Franz Kafka als Ein-Personen-Stück in der Unterwelt.

Ein Wesen, das sich eine unterirdische Höhle gräbt, um sich darin zu verkriechen, steht im Mittelpunkt von Franz Kafkas "Der Bau". Bei der Traben-Trarbacher Aufführung des Stückes mussten auch die Besucher in die Unterwelt - in den Keller des Moselschlösschens.

Traben-Trarbach. Aus dem Lokal über dem Kellergewölbe des Moselschlösschens mussten zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden, um alle Besucher unterzubringen. Mit so viel Andrang hatten die Veranstalter nicht gerechnet, als sie mit Unterstützung der Lott-Gesellschaft zur Bühnenfassung von Franz Kafkas "Der Bau" einluden.

Sparsame Bühnenausstattung

Der Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff wusste sein Publikum auf ganzer Linie zu überzeugen. Nur mit Sprache, Mimik und Gestik und einer äußerst sparsamen Bühnenausstattung versetzte er die Besucher in die Welt eines nicht näher definieren Wesens, dass sich, getrieben von seinen Ängsten, aus der oberirdischen Welt die Abgeschiedenheit seines selbst gegrabenen Baus unter der Erde verkrochen hatte. Die Auswahl der Lokalität erwies sich als Glücksbringer.

Der durch seine Säulen leicht unübersichtliche und eindrucksvolle Kellerraum diente in seiner Gesamtheit als Bühne. Das Publikum saß so mitten im Geschehen. Die durch Schulze-Neuhoffs eindringliches Spiel geschaffene dichte, beklemmende Atmosphäre wurde so bestmöglich unterstrichen.

NEUE WESTFÄLISCHE, 15./16.10.11
HERR UND GEFANGENER ZUGLEICH
Erzählung von Franz Kafka "Der Bau" beeindruckend auf die Bühne gebracht.

Autor: Rolf Birkholz

Gütersloh. Wie lässt sich ein Dachsbau auf die Bühne setzen? Recht einfach. Eine große, hinten offene Schachtel mit Deckel als Eingang, eine Wand aus Kunststoffkästen mit einem Durchlass. Halbdunkel. Der Saal ist die Oberwelt. Der Rest ist Imagination. So eingängig das Bühnenbild, so logisch umgesetzt und eindrücklich gespielt war jetzt in der Weberei auch Franz Kafkas "Der Bau" zu sehen, eine unvollendete Erzählung aus dem Nachlass des Schriftstellers.

Dass es sich bei dem Ich-Erzähler um einen Dachs handelt, kann die Literaturwissenschaft nur vermuten. Seine labyrinthische Behausung unter der Erde, die Art sich zu bewegen, Gänge zu schaufeln, im Wald über dem Bau zu jagen, lassen darauf schließen. Seine Regungen, seine "Gedanken", seine "Empfindungen" wirken aber teils auch menschlich.

Dachs, Mensch: Jörg Schulze-Neuhoff als Erdbaubewohner in der für die Bühne eingerichteten Kafka-Erzählung "Der Bau" | Foto: Rolf Birkholz

Diese Ambivalenz balanciert der Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff fein aus. Die Ängste und Sehnsüchte, die Aktionen und Reaktionen des Wesens schlagen mal mehr zur tierischen, mal zur menschlichen Seite aus, werden zusammen aber deutlich als Befindlichkeiten und Verhaltensweisen der Kreaturen an sich.

"Das Schönste ist die Stille" sagt der Baubewohner. Doch innere Unruhe treibt ihn zur Sorge, ob auch alles bestens geordnet sei in seinem Bau. Soll er die vielen Vorräte dezentral oder lieber auf dem großen "Burgplatz" lagern? Ist der Eingang getarnt? Dann dieses bedrohliche Geräusch. Nur ein Luftzug oder nähert sich ein anderer, "der Zischer", seinem Reich?

Oft mit aufgerissenen Augen, mit Nuancen der Angst, der nie vollen Zufriedenheit des Emsigen, auch eines beginnenden Wahns in der stimme gibt Jörg Schulze-Neuhoff dem inneren Monolog eines Namenlosen Gestalt. Das Wesen ist Herr seines Erdreichs und zugleich, sich selbst ständig selbst beobachtend, wie gefangen darin, in sich.

Kafkas 1923/24 entstandene Geschichte bietet viel Deutungsraum. Stefan Meißner hat sie als Regisseur mit dem Schauspieler für die Bühne eingerichtet, dabei gekürzt und mit einigen auflockernden Ideen spielbar gemacht. Gütersloh war die siebte von elf Stationen einer kleinen Tournee. Das erste Projekt der Bielefelder Theaterpädagogen. Meißner: "Es macht uns große Freude." Dem Publikum auch.

NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG, 04.10.11
SUCHE NACH GEBORGENHEIT
Erstes Unordentliches Zimmertheater zeigt: "Der Bau"
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Autor: Tobias Sunderdiek

Osnabrück. Dunkle Labyrinthe, Angst vor scharrenden Tieren, ein Wohnort, der zum Gefängnis wird: "Der Bau", eine von Franz Kafka erst nach dessen Tod veröffentlichte Geschichte, bot die Vorlage für ein zweiaktiges Ein-Personen-Stück, das der Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff im Zusammenarbeit mit seinem Regisseur Stefan Meißner im Ersten Unordentlichen Zimmertheater aufführte.

Mit wenigen Requisiten auf der Bühne, die bedeckt war mit Kunststofftüten, einem Holzkasten und Plastikkörben, die ein verwickeltes Gangsystem unter der Erde vermittelten - so beschrieb "Der Bau" das eifersüchtig und angstvoll begutachtete Refugium eines Wesens, das auf der Suche nach Geborgenheit ebendiese nie findet.

Eine beklemmende Situation, die daran erinnerte, wie fragil doch das Streben nach Ruhe sein kann, vor allem, wenn sie bedroht scheint. Der Bielefelder Theaterpädagoge Jörg Schulze-Neuhoff brachte dieses Wesen mit expressivem Spiel und einem ans Publikum gerichteten Monolog beängstigend nah ans Publikum. Harte Lichter und Schatteneffekte verstärkten die düstere Stimmung.

Verdienter Applaus beendete so die sehr gut besuchte, überzeugende Aufführung, die nach einer Tour durch andere Städte noch mal am 28.10. im Zimmertheater zu erleben ist.

MINDENER TAGEBLATT, 26.09.11
EIN GEWAGTES EXPERIMENT
Kafkas "Der Bau" in den Katakomben des Fort A aufgeführt.

Autor: Volker Knickmeyer


Die Katakomben des Fort A sind die ideale Kulisse für Jörg Schulze-Neuhoffs Auftritt in einer minimalistischen Inszenierung von Franz Kafkas "Der Bau". | Foto: Volker Knickmeyer

Minden. Wann wurde im Kreis Minden-Lübbecke zum letzten Mal Kafka gespielt? Seine Werke sind Standardliteratur im Schulunterricht der Mittel- und Oberstufe, aber auf der Bühne, und sei sie noch so klein, ist der in Prag geborene deutschsprachige Schriftsteller wenig präsent.

Die Mindener Tucholskybühne bot nun im katakombenähnlichen Fort A die passende Kulisse für die Auffühung des Ein-Personen-Stückes "Der Bau", dem unvollendeten Spätwerk Franz Kafkas. Der in Bielefeld lebenden Schauspieler Jörg Schulze-Neuhoff spielte das kurz vor Kafkas Tod entstandene deprimierende Werk.

Ob kulturbeflissene Mindener Angst hatten, selbst Teil des Baus zu werden, wie es in der Ankündigung stand? Nur ein Dutzend Zuschauer hatten den Weg in das Fort A gefunden.

Hier präsentierte sich aber ein talentierter Theaterpädagoge mit einer minimalistischen Aufführung. Schulze-Neuhoff spielte das von Kafka erdachte Wesen, welches eine Mischung aus Dachs und Mensch sein könnte, mit weit aufgerissenen Augen und hoher Ausdrucksfähigkeit. Im unterirdischen Bau reichten Bademantel und zerschlissene Feinrippwäsche, außerhalb trug er einen grauen Anzug.

"Das Tier" hat sich einen - wie es zunächst meint - perfekten Bau eingerichtet, doch nach und nach zieht Angst auf, die sich bis zur Paranoia steigert. Irgendetwas - ein fremder sich ausbreitender Ton - irritiert, macht Angst. Kafka, beim Schreiben des Stückes schon schwerst Lungen-Tuberkolose krank, zeigt in "Der Bau" immer wieder Parallelen zu seinen anderen Werken wie "Das Schloss" oder "Die Verwandlung" auf.

Jörg Schulze-Neuhoff zog seine Zuschauer in den Bann, ohne Angst einflößend zu wirken. Die Regie des Stückes hatte Stefan Meißner, der auch für Licht- und Toneffekte sorgte. Das Fort A ist sicherlich ein hervorragender Ort für Kleinkunst und kleinerer Theateraufführungen. Einen noch besseren Spielort gab es wohl nur 2003 in Recklinghausen. da war es ein Bergwerk der Deutschen Steinkohle AG.